Walter Alfred Siebel
Naivität verwirft oder verdrängt einen Teil der Wirklichkeit oder schaltet bei Erkenntnissen, die nicht gefallen, Ideen aus dem Fundus des Bisjetzigen hinzu, damit Neues einer Weiterverarbeitung entzogen wird.
(Siehe auch: Siebel/Winkler: „Noosomatik“, Band I, 2. Aufl. 1994, ISBN 3-89379-082-9, Nr. 3.15.7. Exkurs: Zu Naivität und Naivdystonie)
Vertrauen in die Zukunft, fälschlich Hoffnung genannt, ist mit Naivität durchsetzt wie bei der sogen. „Liebe auf den ersten Blick“. Eine Idealisierung transformiert die Realität in eine Vorstellung. Die eigenen Ressourcen werden unterschätzt, die Erwartung, mehr zu bekommen (Habe-Modus), wird überhöht.
Naivität als Gestalt übergroßen Vertrauens ist die Überkompensation von tiefsitzendem Misstrauen. Naivität interessiert sich nicht mehr für die Realität, nicht mehr für die tatsächliche Umgebung und nicht mehr für die Individualität eines Subjekts.
Im Hintergrund der Naivität agiert eine unersättliche Gier, die nicht in der Lage ist, zu genießen. Naivität macht nie satt im Sinne von erfüllter und erfühlter Vitalität, sie befriedigt nicht wirklich. Sie will immer das Gleiche und davon mehr. Sie will immer rechthaben.